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Arpad Dobriban hatte in den achtziger Jahren vor allem bei Nam June Paik (zuletzt als Meisterschüler) an der Düsseldorfer Kunstakademie und in der Kochklasse von Peter Kubelka an der Städelschule in Frankfurt studiert. Seitdem hat er systematisch ein Werk aufgebaut, das sich um zwei Pole gruppiert: zum einen um Filme und Photographien (die sich hauptsächlich darum drehen, ihr jeweiliges Medium zu analysieren und zu reflektieren), zum anderen um Erforschungen und Inszenierungen von Speisen – eine Kritik des Geschmacks.
Diese `Kritik des Geschmacks´ umfasst zuerst eine Untersuchung sensueller Differenzierungen, die zum Selbstverständlichsten im leiblichen Selbstbezug überhaupt gehören: Schmecken und Riechen. Wir haben uns, wenn auch mit gewissen Schwierigkeiten, in der Moderne an die Einsicht gewöhnt, dass unsere Sprache, unsere Begriffe, unsere Werte und unsere Verhaltensweisen nicht von uns selbst herstammen, nicht frei und bewusst gewählt wurden, sondern erlernt worden sind; dass sie uns als anonyme, uns übersteigende Strukturen vorausgehen, in die wir hineingeboren werden und die wir bewusstlos erwerben. Selbst die Evidenz, die Sichtbarkeit der Welt oder der materiellen Dinge, ist, spätestens mit Cézanne, in der Moderne problematisch geworden: auch die Gegenstände der Wahrnehmung sind schon mentale Konstrukte, die von der Sprache, der sprachlichen Ordnung der Dinge abhängen – die Sehnsucht nach einer vorsprachlichen, `wilden´ Wahrnehmung hat ganze Generationen von Malern und Philosophen nicht losgelassen.
Wogegen wir uns aber entschieden verwehren (und wehren), ist, wenn auch noch die deutlichsten und fraglosesten Gewissheiten der Sinne in Frage gestellt werden: wir haben verstanden, dass alle Bewusstseinsgegenstände schon sprachlich vermittelt sind, von einer symbolischen Struktur abhängen; worauf wir uns aber mit Sicherheit verlassen, sind die unmittelbaren sensuellen Gegebenheiten, sind besonders die leiblichen, `materiellen´ Sinne Geruch, Geschmack und Gefühl. Wo Gehör und Gesicht das Wahrgenommene schon deuten und interpretieren, es in Bewusstseinsgegenständen synthetisieren und so identifizieren, erfassen die leiblichen Sinne das Wahrgenommene offenkundig (oder eher scheinbar: das Offenkundige ist vermittelter Schein) unmittelbar.
Genau das aber stellt die Arbeit von Arpad Dobriban in Frage: seine Kritik des Geschmacks verfährt auf vier verschiedenen Ebenen, deren enges Zusammenwirken erst sein Projekt verständlich macht. Erstens umfasst sie eine Kulturgeschichte des Essens, der Ernährung und der Speisen. Sie erforscht die Geschichte der Kombinationen und Verbote, der vorgeschriebenen Speisenfolgen (etwa die `Gänge´ eines Mahls) und der `Missklänge´, der Harmonien und Disharmonien, der funktionalen und der kulturellen Bearbeitungen und Mischungen von Speisen und entfalten so eine historische Typologie des Geschmacks. Zu einer Geschichte der Speisen, zu der auch eine umfangreiche Ökonomie der Verarbeitung und der Aufbewahrung oder Konservierung mit ihren ganz neuen Geschmacksnuancen gehört (die heute durch die Industrialisierung der Lebensmittelherstellung praktisch verschwunden ist), tritt eine Geschichte des Essens: eine Geschichte der Esswerkzeuge, der Sitten und Rituale, der sozialen Verbote und Tabus, der Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten, bis hin zu einer Geschichte des Festes. Das Verhältnis verschiedener Gesellschaften zum Körper und zu den Lüsten (und damit auch zum Fest) liesse sich von Kategorien der Zubereitung von Speisen aus untersuchen: heiß – kalt – temperiert; intensiv (etwa scharf) – mild – neutral; unbearbeitet – völlig verändert – raffiniert; eindeutig – widersprüchlich – kombiniert. In einer solchen kulturhistorischen Untersuchung werden besonders Kulturen wichtig, welche die Palette des Geschmacks grundlegend anders organisieren, um völlig andere Grundprinzipien herum (wie die japanische oder die indische Kultur). Die Ergebnisse seiner Untersuchungen präsentiert Arpad Dobriban in der thematischen, jeweils um eine bestimmte analytische Frage herum angelegte Zusammenstellung seiner Speisenfolgen, und in den kurzen Vorträgen, die er zwischen den einzelnen Gängen seiner Festessen hält und in denen er die thematischen und analytischen Zusammenhänge der Speisen und Speisenfolgen erläutert.
Auf einer zweiten Ebene betreibt Arpad Dobriban Feldforschung der Nahrung: eine systematische Suche nach nicht mehr bekannten Materialien und Zubereitungsweisen, nach fast verschwundenen Arten von Gemüsen und Obst, nach der besten Herstellung von Speisen und den interessantesten Techniken der Bearbeitung, Verarbeitung und Konservierung, aber auch von nicht mehr bekannten Verfahren des Kochens. Dazu gehört vor allem die Erforschung dessen, was in ländlichen Kulturen (aber auch, in anderer Weise, in adligen und bürgerlichen Küchen) im vorindustriellen Zeitalter selbstverständlich war, heute aber fast schon völlig verloren gegangen ist, dazu gehört die Rekonstruktion verlorener, meist sehr aufwendiger Rezepte und nicht mehr verwendeter Materialien. Dazu gehört auch, dass Arpad Dobriban fast alle konservierten Nahrungsmittel (Marmeladen, Schokolade, Käse, Eingelegtes jeder Art etc.) selbst herstellt.
Diese Forschungen dienen drittens dazu, die aufgedeckten oder entdeckten sensuellen Differenzierungen des Geschmacks in Gastmählern, in Speisen und Speisenfolgen zu präsentieren und erfahrbar zu machen. So wird das Speisen zu einer sensuellen Bewusstwerdung, in der Einheit von sensueller Differenzierung und reflexiver Kritik (Kritik im antiken und im romantischen Sinne, als bewusste Unterscheidung). Die Spiele der sensuellen Unterscheidung im Vergleich der Geschmacksnuancen werden zu einer lustvollen Reflexion, deren Geschmacksurteil von vornherein begriffslos und affirmativ ist: `Hier entdecke ich eine neue Differenz, eine neue Geschmacksnuance´.
Die lustvolle und reflexive Differenzierung des Geschmacks geschieht, und das ist eine vierte Ebene dieser Kritik des Geschmacks, nicht in einer sterilen experimentellen Atmosphäre, sondern selbst als Festmahl, als Fest, als eine außerordentliche soziale Praxis, die entscheidend mit Interaktion und Kommunikation zu tun hat. Erst durch die sorgfältige räumliche, zeitliche, soziale und situative Anlage des Gastmahls, meist verbunden mit Musik oder ausgestellter Kunst, bildet sich das soziale Gesamtkunstwerk `Gastmahl´, das die unterschiedlichsten sensuellen, mentalen und reflexiven Lüste und Genüsse bedient.
von Johannes Meinhardt
Kunstforum Bd. 168 Jan.-Feb. 2004