Dies ist eine Sammlung von getrockneten Sauermilchprodukten aus vielen unterschiedlichen Ländern. Von der Mongolei bis in die Schweiz gibt es überall verwandte Formen dieser Speise oder besser Zutat. Die meisten von ihnen werden in privaten Haushalten für den persönlichen Gebrauch angefertigt. Sie repräsentieren für mich eine sehr archaische Form der Vorratshaltung in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Milch von verschiedenen Tieren, auf unterschiedliche Art gesäuert, in jeweils eine andere Form gebracht und schliesslich für sehr unterschiedliche Verwendung gedacht.

Churut
Heimat für Unterwegs
Armenier mussten zu allen Zeiten ihre Heimat verlassen, meistens weil sie durch Verfolgung bedroht waren. Große Teile dieser armenischen Flüchtlinge, unter anderen Vorfahren meiner Familie, sind Richtung Westen geflüchtet. Anfang des 17.Jhd hat eine große Gruppe von ihnen in Siebenbürgen eine neue Heimat gefunden. Nach so vielen Generationen spielt die alte Sprache kaum noch eine Rolle, die wahren Gründe für die Flucht und Erlebnisse aus der alten Heimat, die mündlich weitergegeben wurden, verblassen. Es gibt nur wenige Dinge, die wie eine Art roter Faden in die Vergangenheit führen und für alle Nachkommen ihre Herkunft zeigen und bestätigen: Das sind Speisen, die über die Generationen weitergegeben wurden und immer wieder ein Gefühl der Zugehörigkeit und aktiven Erinnerung erzeugen.
Einer der wenigen dieser Speisen, die in meiner Familie bis heute noch gekocht bzw. inzwischen auch von mir selbst gekocht wird ist Angads abur. Eine einfache Gemüse oder Rindsbrühe, die mit einem speziellen Gewürz vermischt wird:
Churut. Churut (auch Hurut geschrieben) wird aus Milch hergestellt, die über einen Zeitraum von bis zu ca. 6 Wochen gesäuert wird.
Man gebe 5 Liter Milch - am besten Rohmilch in einen großen Topf. Diese Milch vermischt man mit ca. 400 g saurer Sahne, um das Ganze etwas fetter zu machen. Dann gibt man einen Becher (ca. 500 g) Buttermilch hinzu. Die Buttermilch sollte noch lebende Bakterienkulturen enthalten und nicht ultrahocherhitzt sein, deshalb am besten ein Bioprodukt wählen. Jetzt wird die gesamte Masse auf max. 25°C erwärmt ( auf keinen Fall heißer!).
Dies war ursprünglich nicht nötig, aber heute ist der mikrobiologische Haushalt fast aller Milchsorten in Westeuropa in einem Zustand, dass daraus keine Sauermilch mehr werden kann, wie das Jahrhunderte lang der Fall war. Wenn man sie einfach stehen lässt, verdirbt sie und wird ungenießbar. Deshalb muss man der Milch einen Schubs in die richtige Richtung geben, damit aus ihr eine köstliche Sauermilch oder Dickmilch werden kann. Die erhitzte Masse kommt in ein großes Einmachglas und wird mit einem feinen Tuch abgedeckt, aber auf keinem Fall fest verschlossen - es muss immer Luft an die Milch kommen – und an einen warmen Ort gestellt. Innerhalb von 1-2 Tagen wird Dickmilch daraus.
Das sichere Zeichen dafür, dass der Prozess richtig läuft, ist die festere Konsistenz, die die Milch bekommt und wenn man sich nah darüber beugt, riecht man den angenehmen säuerlichen Duft. Dieser Duft sollte sich in den folgenden Wochen erhalten, dann ist alles in Ordnung. Ändert die Milch ihren Geruch in unangenehm bitter, wird sie ungenießbar und man hat das sichere Zeichen dafür, etwas falsch gemacht zu haben und muss von vorn anfangen. Damit es gar nicht erst soweit kommt, dass sich unerwünschte Bakterien entwickeln, wird die Sauermilch täglich mindestens zwei Mal durchgerührt. Dies ist ein sehr wichtiger Teil der Arbeit, um das richtige Ergebnis zu erhalten.
Die Milch bildet immer mehr Säure, riecht dabei aber immer sehr appetitlich angenehm. Je nach Temperatur kann dieser Vorgang bis zu 6 Wochen dauern.
Also man braucht Geduld.
Dann wird die fertige Masse in einem großen Topf aufs Feuer gesetzt und unter ständigem Rühren langsam eingekocht. Im Topf setzt sich sehr leicht ein Belag an, der schnell anbrennt, daher sollte man mit einem breiten Spachtel rühren und auch am Topfboden entlang fahren. Wenn die Konsistenz der Masse sich langsam Richtung schwerflüssig verändert und das Rühren Spuren in der Masse hinterlässt, ist es soweit, dass die Kräuter hinzu können. Dazu werden Petersilie und Sellerieblätter zu gleichen Teilen sehr fein gemahlen oder auch gerne gehackt. Die gesamte Menge sollte zumindest genauso viel sein, wie die eingekochte Masse. Also mindestens 3 – 3,5 kg, was nach sehr viel aussieht, wenn man es vor sich hat, aber es ist genau die richtige Menge.
Nach dem Unterrühren lässt man die Masse auskühlen und formt dann daraus kleine Kegel von ca. 7 cm Höhe und einem Durchmesser von ca 4 cm. Diese Kegel setzt man zum Trocknen auf ein Blech oder auf Teller und lässt sie an einem luftigen Ort trocknen. Sie müssen wirklich steinhart werden ohne jede Restfeuchte. Das Trocknen kann auch mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Ab und zu die Kegel mal auf die Seite legen, damit von allen Seiten Luft heran kommt.
Die getrockneten Kegel sind dann für den Gebrauch fertig und mehrere Jahre haltbar. Sie werden als Würzmittel für die Suppe benutzt. Dazu werden sie, indem man sie am spitzen Ende anfasst auf einer Reibe zu feinem Staub gerieben. Ein Kegel reicht für ca. 6-8 Teller Suppe. Der fein geriebene Staub wird mit ein wenig Sauerer Sahne vermischt und in die Suppe gegeben.
Der Geschmack des Churuts, der ja nur aus drei bekannten und gewöhnlichen Zutaten (Milch Petersilie und Sellerie) besteht, ist vollkommen neu und eigenständig. Er lässt sich auf keine der ursprünglichen Zutaten eindeutig zurückführen. Zu dieser Suppe werden ganz kleine Teigtaschen mit einer Fleischfüllung als Einlage gereicht.
Churut gehört zu der Tradition von armenischen Auswanderern (Flüchtlingen), die seit Jahrhunderten in der Fremde leben und sich mit dieser Speise ein kleines Stück Heimat mit auf die Reise und in die neue Heimat genommen haben.
In ihrer ursprünglichen Heimat Armenien hat sich die Welt inzwischen geändert. Dort ist es nicht unbedingt notwendig, sich auf eine Tradition zu beziehen, die den Menschen Halt gibt, man will vielmehr modern sein und die Dinge verändern. Auch in den Speisen werden ständig Neuerungen eingeführt, wie man in aktuellen Kochbüchern nachlesen kann. Damit verschwindet das Churut langsam aus dem Repertoire der armenischen Küche und wird durch ein verwandtes Gericht abgelöst. Chortan ( getrocknetes Youghurt) wird nur noch von sehr wenigen Menschen hergestellt. Zu kaufen gibt es Chortan an ganz wenigen stellen. Die Zubereitung scheint es eher noch in vereinzelten Familien zu geben in Restaurants ist sie anderen Suppen gewichen. Spas ist eine modernisierte Variante aus frischem Youghurt. Targhana Abour heißt eine weitere Suppe, die viel mehr mit einer zypriotisch-griechischen Variante des Churut zu tun hat, das sich Trachanas nennt.
Hier wird aus Getreide, Yoghurt und Hefe ein Teig hergestellt, der zunächst getrocknet und damit haltbar gemacht wird. Als Grundlage für eine Suppe wird er dann wieder in Wasser eingeweicht. Wenn man weiter Richtung Osten reist, findet man sehr viele Varianten dieser getrockneten Sauermilchprodukte.
Ursprünglich kommt dieses Verfahren Milch für einen langen Zeitraum haltbar zu machen aus der Mongolei. Dort wird eine Variante Aaruul genannt.
Qurut wird in Afghanistan hergestellt.
Im Iran heisst ein getrocknetes Sauermilchprodukt Kaschk, das zu einer saueren Sauce verarbeitet wird, die z.B. als Beigabe zu gebratenen Auberginen gereicht wird. Unter dem gleichen Namen findet sich im kurdischen Irak eine vollkommen andere Form.
In Griechenland und Zypern gibt es, wie schon erwähnt, eine Variante unter dem Namen Trachanas. Es ist getreidehaltig und bildet die Grundlage für eine schwere dicke Suppe.
Bei uns gibt es auch ein vergleichbares Produkt in der Schweiz: Der Schabziger bestehend aus getrockneter Molke und Schabzigerklee. Die kleinen grünen Kegel werden z.B. über Nudeln geschabt oder gerieben.
In Sachsen war bis in den sechziger Jahren ein sehr ähnliches Produkt unter dem Namen "Grüner Käs" bekannt.